Einleitung.
Mit dem Namen Rosch Haschana (Jahresanfang) bezeichnet die Mischna das Fest, das in der Tora שבתון זכרון תרועה (3. B. M. 23, 24) und יום תרועה (4. B. M. 29, 1) genannt wird. Was diesem Feiertage das besondere Gepräge gibt, sind also die Töne des Schofar, die wir an ihm zu vernehmen und auf uns wirken zu lassen verpflichtet sind. Mit ihnen stehen drei Einschaltungen in Zusammenhang, die das Musafgebet dieses Tages vor dem der anderen Feste auszeichnen: Malchujjot, Zichronot, Schofarot. Es sind drei stimmungsvolle, herzerhebende Betrachtungen über die dreifache Bedeutung des Tages als Jahresanfang, als Gerichtstag und als Schofarfest. Sie bilden den Rahmen für je zehn Bibelverse, von denen vier dem Pentateuch, drei den Hagiographen, drei den Propheten entnommen sind. In den Huldigungsversen (מלכויות) wird Gott im Hinblick auf die Schöpfung, mit der unser Fest als Jahresanfang in Verbindung gebracht wird, als Weltenkönig gefeiert; in den Erinnerungsversen (זכרונות) wird er als der liebevolle Weltenrichter dargestellt, der seiner Geschöpfe in Gnade und Barmherzigkeit gedenket; in den Schofarversen (שופרות) wird auf die erschütternde und erweckende Kraft der Schofartöne hingewiesen, wie sie insbesondere bei der Offenbarung am Sinai in die Erscheinung trat und dereinst wieder bei der Rückkehr Israels in seine Heimat sich bewähren wird.
Die Vorschriften über den Schofar und die drei Einschaltungen bilden den wesentlichen Inhalt der letzten zwei Kapitel unseres Traktats. Die beiden ersten behandeln das Kalenderwesen. Zur Zeit der Mischna gab es den festen Kalender noch nicht, nach dem wir uns heute richten; vielmehr wurde damals und auch später noch der Monatsanfang von Fall zu Fall durch ein autoritatives Kollegium gelehrter Fachmänner auf Grund von Zeugenaussagen über das Erscheinen des neuen Mondes in öffentlicher Gerichtsverhandlung festgesetzt. Erschienen die Zeugen an dem Tage, an dessen Vorabend der neue Mond nach astronomischer Berechnung zum ersten Male sichtbar wurde, so wurden sie vom Gerichtshofe vernommen, zwei von ihnen sogar einem eingehenden Verhör unterzogen, und wenn ihre Aussagen sowohl unter einander als mit den Tatsachen am Himmel übereinstimmten, ward dieser Tag in feierlicher Weise als Monatsanfang proklamiert. War der Himmel an diesem Abend bedeckt, so wurde der nächstfolgende Tag als erster des Monats festgesetzt, gleichviel ob Zeugen an ihm erschienen oder nicht. Daher konnten sich Zeugen, die weiter als eine Tagesreise vom Sitz des Gerichtshofes entfernt waren, den Weg dahin ersparen, zumal man sich nur ungern entschloss, den einmal verkündeten Monatsanfang nachträglich auf Grund späterer Vernehmungen zu berichtigen; innerhalb dieses Umkreises aber durften Personen, die am Freitag abend das erste Erscheinen des Mondes beobachtet hatten, selbst die Sabbatgesetze, soweit als nötig, übertreten, um rechtzeitig vor dem Kollegium eintreffen zu können. War der Monatsanfang festgesetzt, so wurde er durch optische Signale Feuerzeichen), später, durch Boten, die jedoch nur in den Festmonaten sowie im Ab und im Elul ausgesandt wurden, den Gemeinden mitgeteilt. Die Monate waren, wie aus dem Vorhergehenden ersichtlich, nicht von gleicher Länge; sie zählten bald 29, bald 30 Tage. Da die durchschnittliche Dauer des synodischen Monats rund 29½ Tage beträgt, so löste meist ein „voller“ Monat (מלא oder מעובר) mit 30 Tagen einen „mangelhaften“ (חסר) mit 29 Tagen ab; doch konnten, zumal wenn der Himmel um die Zeit des Neumondes öfter bedeckt war, auch mehrere volle Monate und später wieder mehrere mangelhafte unmittelbar hinter einander folgen. Indessen vermied man es, einem Jahre weniger als vier oder mehr als acht volle Monate zu geben (‘Arachin II 2). Immerhin schwankte auf diese Art die Zahl der Tage eines Jahres zwischen 352 und 356. Aber auch in Bezug auf die Zahl der Monate waren die Jahre nicht einander gleich. Denn die Feste waren an bestimmte Jahreszeiten gebunden, insbesondere die Pesachfeier an den Frühlingsmonat (5. B. M. 16, 1), das sogenannte Mondjahr aber ist um mindestens 10 Tage kleiner als das Sonnenjahr. Man schaltete daher von Zeit zu Zeit zwischen Adar und Nisan einen dreizehnten Monat ein. Dies geschah ebenfalls durch eine mit höchster Autorität bekleidete Gerichtshehörde, nicht nach einer bestimmten Richtschnur, sondern nach freiem Ermessen, so oft die Notwendigkeit es erheischte.
In dem Kalender dagegen, dessen wir uns jetzt seit etwa 1500 Jahren bedienen, sind sowohl die Monatsanfänge als die Schaltjahre ein für allemal nach festen Normen geregelt, die für jedes beliebige Jahr der Vergangenheit und Zukunft eine Berechnung und Festsetzung ermöglichen. Er beruht auf der Annahme, dass die Länge des tropischen Jahres 365 Tage 5 Stunden 55 Minuten Sekunden, die des synodischen Monats im Durchschnitt 29 Tage 12 Stunden 44 Minuten 3⅓ Sekunden beträgt, so dass 19 tropische Jahre genau 235 (=12×12+7×13) mittleren Monaten entsprechen. Es müssen daher, wenn je 19 Jahre einen Zyklus bilden, der aus 12 Gemeinjahren (פשוטות) mit je 12 Monaten und 7 Schaltjahren (מעובדות) mit je 13 Monaten besteht, die Feste nach Ablauf eines jeden Zyklus immer wieder auf dieselbe Jahreszeit fallen, und sie können auch innerhalb des Zyklus nicht allzusehr vom Normaljahre abweichen, sofern nur die Schaltjahre möglichst gleichmässig verteilt sind. Als solche sind das 3., 6., 8., 11., 14., 17. und 19. festgesetzt. Die mittlere Konjunktion des Mondes (das ist der Augenblick, in welchem er zwischen Sonne und Erde hindurchgehen würde, wenn seine Bewegung eine gleichmässige wäre) bezeichnet man mit dem Worte Molad (מולד=Geburt). Kennt man den Molad irgend eines Monats, so kann man jeden andern leicht berechnen. Ist nämlich der bekannte Molad (also die Epoche) = E, die Zahl der seither verflossenen Monate = n, die mittlere Länge des synodischen Monats = m, so ist, wenn der zu berechnende Molad (M) auf die Epoche folgt, M = E + n m, und wenn er hinter ihr zurückliegt, M = E — n m. Gewöhnlich wählt man das erste Jahr unserer Zeitrechnung als Epoche, in welchem Molad Tischri auf Sonntag 11 Uhr 11 Minuten 20 Sekunden nachts fiel. Man bezeichnet die Wochentage (d) von Sonntag bis Sabbat mit den Ordinalzahlen 1 bis 7, beginnt den Tag um 6 Uhr abends und zählt von da an die Stunden (h) fortlaufend von 0 bis 23. Mithin ist
In der Regel soll der Jahresanfang (Rosch haschana) auf den Tag des Molad Tischri festgesetzt werden. Er wird jedoch aus Gründen, deren Erörterung hier zu weit führen würde, auf den folgenden Tag verschoben, wenn die mittlere Konjunktion erst mittags (18h) oder noch später eintritt, wenn sie ferner auf einen Sonntag (1d), Mittwoch (4d) oder Freitag (6d) trifft, und wenn sie endlich nach einem Schaltjahre (שנה מעוברת) an einem Montage (2d) später als 15h 32m 40s stattfindet; er wird sogar um zwei Tage verschoben, wenn der Molad in einem Gemeinjahre (שנה פשוטה) an einem Dienstage (3d) später als 9h 11m 19s oder überhaupt an einem Dienstag (3d), Donnerstag (5d) oder Sabbat (7d) erst mittags (18h) oder gar nachmittags eintritt. Infolge dieser Verschiebungen hat das Gemeinjahr bald 353, bald 354, bald 355, das Schaltjahr bald 383, bald 384, bald 385 Tage. Ein Jahr mit 353 bezw. 383 Tagen heisst ein verkürztes (חסיה) ein solches mit 354 oder 384 Tagen ein ordnungsmässiges (כסדרה), ein Jahr mit 355 bezw. 385 Tagen ein verlängertes (שלמה). Die Namen der Monate sind: Nisan, Ijar, Siwan, Tammuz, Ab, Elul, Tischri, Marḥeschwan, Kislew, Ṭebet, Schebaṭ, Adar. Im Schaltjahre heisst der zwölfte Monat Adar rischon, der dreizehnte aber Adar scheni. In einem ordnungsmässigen Jahre folgt immer auf einen vollen ein mangelhafter Monat in der Weise, dass Nisan 30, Ijar nur 29 Tage zählt u. s. w. mit Ausnahme des Adar rischon im Schaltjahre, der stets 30 Tage hat, während Adar scheni wie Adar im Gemeinjahre ein mangelhafter Monat ist; in einem verkürzten Jahre hat sowohl Marḥeschwan als Kislew nur je 29 Tage, in einem verlängerten sind beide volle Monate. Hat ein Monat 30 Tage, so wird sein letzter Tag neben dem ersten des folgenden Monats als dessen Rosch hachodech mitgefeiert und auch in Urkunden so bezeichnet, z. B. לחדש ניסן שהוא ראש חדש אייר שלשים יום.
Um nun den Kalender eines gegebenen Jahres zu bestimmen, braucht man nur folgende drei Fragen zu beantworten: 1. Ist es ein Gemein- oder ein Schaltjahr? פשוטה oder מעוברת (abgekürzt: פ oder מ)? 2. Auf welchen Wochentag fällt sein Rosch haschana? Da der erste Neujahrstag, wie oben gesagt wurde, niemals auf einen Sonntag, Mittwoch oder Freitag festgesetzt wird, so kann die Antwort nur aus einem der Buchstaben בגהז bestehen, die den 2., 3., 5. und 7. Wochentag bezeichnen. 3. Ist das Jahr ein verkürztes, ein ordnungsmässiges oder ein verlängertes? כסדרה ,חםרה oder שלמה (abgekürzt: כ ,ח oder ש)? Die drei Buchstaben, die die Antwort auf diese drei Fragen geben, bilden das Kalenderzeichen (קביעות), das den Charakter des Jahres vollständig bestimmt. Man findet die Antwort auf die erste Frage, indem man die Jahreszahl durch 19 dividiert. Ergibt sich als Rest eine der Zahlen 3, 6, 8, 11, 14, 17 oder 0, so ist das Jahr מ, sonst ist es פ. Um die zweite Frage zu beantworten, berechnet man zunächst Molad Tischri des gegebenen Jahres nach der Formel: M = E + n m und bestimmt sodann auf Grund der Verschiebungsgesetze, ob Rosch haschana am Tage der Konjunktion, oder erst am folgenden, bezw. dem zweitnächsten Tage zu feiern ist. Die dritte Frage endlich löst man, indem man in gleicher Weise den Anfang des nächsten Jahres und damit das Ende des gegebenen ermittelt. Je nachdem zwischen seinem ersten und seinem letzten Tage in einem Gemeinjahre 1, 2 oder 3 und in einem Schaltjahre 3, 4 oder 5 Wochentage liegen, ist das zu bestimmende Jahr כ ,ח oder ש.
Wir wollen z. B. den Kalender des Jahres 5674 feststellen. 5674:19 = 298, Rest 12. Demnach ist 5674 das 12. Jahr des 299. Zyklus, also ein Gemeinjahr (פ). In 298 Zyklen sind 298 × 235 = 70 030 Monate, in den 11 verflossenen Jahren des laufenden Zyklus waren 7 Gemein- und 4 Schaltjahre, zusammen also 136 Monate; mithin n = 70030 + 136 = 70166. Folglich ist
Da wir nur den Wochentag des Molad zu berechnen haben, so können wir 28 Tage (= 4 Wochen) von den 29 bei m ausser Acht lassen und uns mit dem Reste 1d 12h 44m 3⅓s begnügen. Nennen wir diese Zahl r, und setzen wir der Kürze halber 3⅓ s = 1 p, so erhalten wir, wenn wir immer wieder die vollen Wochen ausschalten,
Mit Hilfe dieser Tabelle, die uns die Multiplikation wesentlich erleichtert, führen wir die Rechnung wie folgt aus:
Molad Tischri 5674 fällt demnach auf Dienstag 3 Uhr 13 Minuten 26⅔ Sekunden nachmittags, so dass der erste Neujahrstag um 2 Tage auf Donnerstag (ה) verschoben werden muss. Addieren wir zu dem eben gefundenen Molad, da 5674 ein Gemeinjahr ist, 12 Monatsreste, so ergibt sich
Somit ist das Jahr 5674, da es mit Donnerstag beginnt und mit Sonntag endet, zwischen diesen beiden Wochentagen aber 2 Tage liegen, ein ordnungsmässiges (כ). Sein Kalenderzeichen ist פ׳ ה׳ כ׳. Seine Neumondstage sind: Tischri: Do., Marḥeschwan: Fr. u. Sa., Kislew: So., Ṭebet: Mo. u. Di., Schebaṭ: Mi., Adar: Do. u. Fr., Nisan: Sa., Ijar: So. u. Mo., Siwan: Di., Tammuz: Mi. u. Do., Ab: Fr., Elul: Sa. u. So.
Ein anderes Beispiel. Maimonides starb am 20. Ṭebet des Jahres 4965. Wir wollen den Wochentag dieses Datums ermitteln. 4965:19 = 261, Rest 6, also ein Schaltjahr (מ). 261 × 235 m = 61335 m, 4 Gemeinjahre = 48 m, 1 Schaltjahr = 13 m, zusammen = 61396 m.
Da also der Molad auf Freitag fiel, war Rosch haschana 4965 am Sabbat (ז).
Zwischen Sabbat, dem ersten, und Mittwoch, dem letzten Tage des Jahres 4965 liegen 3 Wochentage; es ist daher ein verkürztes Schaltjahr mit dem Kalenderzeichen מ׳ ז׳ ח׳. Maimonides starb demnach an einem Montag. Merkwort: ימי בכי אבל משה (ב = Montag, כ = 20. Tag, י = 10. Monat, בכי אבל = 65. Jahr des 50. Jahrhunderts).
Bei manchem Vorzug, den dieser Kalender besitzt, leidet er an einem grossen Fehler, der im alten System, das sich nicht auf Berechnung, sondern auf Beobachtung stützte, glücklich vermieden wurde. Er nimmt das tropische Jahr um 6, 6 Minuten grösser an, als es tatsächlich ist, eine Differenz, die schon in 100 Jahren 11 Stunden und in 218 Jahren einen vollen Tag ausmacht. Auch sonst weicht er in wesentlichen Punkten von dem frühern Verfahren ab. Nicht mehr bestimmt das erste Erscheinen des jungen Mondes den Anfang des Monats, sondern der Molad, und nicht etwa der wahre Molad, sondern nur die mittlere Konjunktion, und auch diese nur für den Monat Tischri, dem alle übrigen Monate auf Grund einer rein mechanischen Einteilung untergeordnet sind. Eine solche regelt auch die Festsetzung der Schaltjahre, die nun nicht mehr nach Maassgabe des Bedürfnisses mit Rücksicht auf Naturverhältnisse erfolgt. Beachtenswert ist ferner, dass hier die Tage nicht wie sonst mit Sonnenuntergang beginnen, sondern regelmässig, im Sommer wie im Winter, um 6 Uhr abends, und dass im bürgerlichen Leben wie bei den übrigen Kulturvölkern des Altertums die Tagesstunde dem zwölften Teil des Tagbogens und die Nachtstunde dem zwölften Teil des Nachtbogens entsprach, diese also im Winter, jene im Sommer grösser war als die Aequinoktialstunde, während hier die Stunden stets die gleiche Länge haben. Als ob sich die Moladrechnung auf den Aequator bezöge und nicht, wie man annehmen sollte, auf die heilige Stadt! Natürlich ist diese Einrichtung in dem Streben begründet, die Rechnung so viel als möglich zu vereinfachen. Ein Uebelstand kann daraus nicht erwachsen; denn wenn z. B. der Molad Tischri auf Sabbat 6 Uhr Nm. fällt und wir diesen Zeitpunkt schon als Sonntag bezeichnen, obgleich es noch heller Tag ist, so hat das doch auf die Festsetzung des Rosch haschana keinen Einfluss, da wir ja selbst dann, wenn der Molad schon am Sabbat mittag einträte, den Jahresanfang auf Montag verschieben würden. Auch ist im Tischri, auf den es ja hautpsächlich ankommt, der Unterschied zwischen 6 Uhr abends und der Zeit des Sonnenuntergangs wie auch zwischen der bürgerlichen und der Aequinoktialstunde nur gering. In den Solstitien freilich ist die Differenz zwischen der Länge des Tages und der Nacht in Jerusalem nicht unerheblich; sie beträgt dort rund 4 Stunden, so dass im Beginne des Sommers die Tagesstunde um zwei Fünftel grösser ist als die Nachtstunde, und diese wieder im Anfang des Winters um ebensoviel grösser ist als jene. Wir haben diese Verhältnisse schon in der Einleitung zum Traktat P’saḥim ausführlich erörtert und daselbst auch die Formel mitgeteilt, nach welcher der Zeitunterschied zwischen dem längsten und dem kürzesten Tage des Jahres für jeden Punkt der Erdoberfläche berechnet werden kann. Ehe wir diese Formel hier entwickeln, wollen wir zunächst die zu lösende Aufgabe zur Anschauung bringen.
Fig. 1
In nebenstehender Figur 1 stelle der Kreis mit dem Mittelpunkte C und dem Durchmesser WK den Wendekreis des Krebses dar. A sei der Punkt, in welchem die Sonne über dem Horizont eines bestimmten Ortes aufgeht, U der Punkt ihres Untergangs; die Linie AU schneide den Durchmesser in B. Bezeichnen wir den Radius CA mit r, die Linie CB mit d, den Winkel ACU mit φ und demnach den Winkel ACK
, so ist φ der Nachtbogen jenes Ortes und
. Es wird nun behauptet, dass
, wenn β die geographische Breite des Ortes und ε die Schiefe der Ekliptik ist.
Fig. 2
Beweis: In nebenstehender Figur 2 sei der Kreis der Ortsmeridian, M der Mittelpunkt der Erde, AR der Durchmesser des Himmelsäquators, N der Nordpol, S der Südpol, HT der Durchmesser des Horizontes, WE der der Ekliptik und WK der des nördlichen Wendekreises, den HT in B und die Weltachse NS in C schneidet, so dass C sein Mittelpunkt wäre und WC sein Radius = r. Bezeichnen wir den Winkel MWC = AMW (die Schiefe der Ekliptik) mit ε, den Winkel NMT (die Polhöhe oder geographische Breite) mit β, die Linie CB mit d und die Linie CM mit a, so ist im rechtwinkeligen Dreieck MCB:
Da nun, wie oben bei Figur 1 gezeigt wurde,
, so ist
.
Für Leser, die auch mit der sphärischen Trigonometrie vertraut sind, sei hier zum Schluss noch eine andere, kürzere und einfachere Lösung erwähnt.
Fig. 3
Wenn die nebenstehende Figur 3 die halbe Himmelskugel darstellt, AR einen Halbkreis des Aequators, HT einen solchen des Horizontes, WE einen Halbkreis der Ekliptik und WK einen solchen des nördlichen Wendekreises, B den Punkt, in welchem die Sonne einem Bewohner der gemässigten Zone am längsten Tage des Jahres aufgeht (also
), O den Ostpunkt, in welchem sie in den Aequinoktien über seinem Gesichtskreise emportaucht und D den Fusspunkt eines vom Nordpol N auf den Aequator AR durch B gezogenen Quadranten, so ist im rechtwinkeligen Kugeldreieck BDO der Bogen BD = WA = ε (Schiefe der Ekliptik) und der Winkel BOD als Komplement des Winkels NOT (geographische breite) = 90° — β. Nun ist in jedem rechtwinkeligen Kugeldreieck, wenn a und b die den rechten Winkel einschliessenden Seiten sind und α den der Seite a gegenüber liegenden Winkel bezeichnet, sin b = ctg α . tg a, also in unserm Falle: